Eine Einordnung der O'Bros (Teil 1)
Die O’Bros und evangelikale Rapmusik

Die O’Bros
Wer sind die beiden jungen Männer hinter dem Gottesdienst, die mit christlichen Liedzeilen nicht nur die fromme Welt erreichen? Maximilian (geb. 1996) und Alexander (geb. 1997) Oberschelp, wie die beiden mit bürgerlichen Namen heißen, sind bereits seit vielen Jahren in der christlichen Musikszene und darüber hinaus bekannt. Als „O’Bros“ (vermutlich kurz für „Oberschelp-Brothers“) belegten sie 2018 den ersten Platz des SPH Music Masters, des größten Bandwettbewerbs für Nachwuchskünstler:innen im deutschsprachigen Raum.1 Seit 2015 haben sie insgesamt fünf Studioalben und zahlreiche Singles veröffentlicht. Ihre vorletzte Platte „Underrated“ (2023) erreichte Platz 2 der deutschen Albumcharts, „To Be Honest“ (2025) eroberte nun sogar Platz 1. Das ist der größte Erfolg, den christliche Künstler:innen hierzulande bisher feiern konnten.2 Für die deutsche Musiklandschaft ist es ungewöhnlich, dass Musik mit dezidiert christlichen Inhalten eine derart breite Resonanz erfährt.
Ihren Musikstil beschreiben die beiden Musiker als „Worship-Hop“, eine Synthese aus Hip-Hop und klassischer Lobpreismusik. Diese auf den ersten Blick eigentümliche Kombination – die O’Bros sprechen von „moderner lyrischer Predigt“3 – weicht deutlich von dem ab, was man sich sonst unter christlicher Musik vorstellt. Die Brüder sind Deutschrapper und praktizieren damit einen der erfolgreichsten Musikstile der Gegenwart. Und das passt perfekt nach Stuttgart. Denn die Neckarstadt ist nicht nur das Zentrum des schwäbischen Pietismus, sondern auch mit der deutschen Rap-Szene eng verbunden.4
Im Münchner Umland geboren, wohnen die Brüder heute in der Baden-Württemberger Hauptstadt. Der christlich-evangelikale Glaube hatte schon seit Kindestagen eine große Bedeutung in ihrem Leben. Zentrale Themen evangelikaler Frömmigkeit – Konversionserlebnis, Bibel- und Christuszentriertheit, Mission – werden von ihnen musikalisch verarbeitet. Ihre Texte bewegen sich zwischen geläufigen Lobpreisinhalten und (autobiografischen) Zeugnissen, die „junge Menschen ermutigen“ sollen, „ihren Glauben offen und stolz zu leben“.5
Deutscher Hip-Hop
Was in den neunziger Jahren als Subkultur begann, ist inzwischen ein fester und außerordentlich populärer Bestandteil der deutschen Musiklandschaft. Im Jahr 2023 waren sechs der zehn erfolgreichsten Musiker:innen in Deutschland (gemessen an den Streamingzahlen bei Spotify) Deutschrapper:innen. Knapp 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren hören deutschsprachigen Hip-Hop, nur Pop- und Rockmusik sind mit etwa 85 Prozent noch beliebter. Die Genres lassen sich allerdings nicht immer scharf voneinander unterscheiden, weil sich Rap-Musik immer häufiger melodischer Pop-Elemente bedient.6 Dass das eine erfolgsversprechende Fusion ist, zeigt unter anderem der Song „Komet“ von Udo Lindenberg und Apache 207. Das Lied war 2023 ein reichliches halbes Jahr auf Platz 1 und 2 der Single-Charts.7
Auffälligerweise sind religiöse Bezüge im Rap recht häufig zu finden. Wie die religiöse Sprache in den Songs wirkt, ist dabei stark kontextabhängig. In einem religiösen Umfeld können so spirituelle Bedeutungen transportiert werden, in säkularen Kontexten dient dies eher der Selbstinszenierung.8 Diese Ausgangslage mag ein Grund sein, warum die O’Bros mit ihrer Musik auch über das religiöse Publikum hinaus Anklang finden.
Christliche Popmusik und Evangelikalismus
Weite Teile des Evangelikalismus stehen der Verwendung popkultureller Mittel sehr offen gegenüber. Insbesondere in den US-amerikanischen Megakirchen konnte man in den vergangenen Jahrzehnten gut beobachten, wie selbstverständlich zeitgenössische Musiktrends aufgenommen werden, um sie mit eigenen Inhalten zu füllen. Rein technisch ähnelt die Musikgestaltung den Arrangements säkularer Künstler:innen, inhaltlich gibt es jedoch umso größere Unterschiede. In den meisten religiösen Liedtexten wird „die heilende Wirkung eines Bekenntnisses zu Jesus Christus hervorgehoben und die Fehler- und Sündhaftigkeit menschlichen Lebens und Strebens thematisiert“.9 Die Musik wird dabei als besonders anschlussfähiges Verkündigungs- und Evangelisierungsmedium begriffen.
Auch für die O’Bros ist dieser Aspekt in ihrer Musik zentral. Ihr erstes Studio-Album nannten sie „R.A.P.“, die Bezeichnung des Genres als Akronym für „Radikal anders predigen“. In einem Interview beschreiben sie die Ausgangsidee für ihre Musik folgendermaßen:
Viele junge Leute fühlen sich nicht mehr angesprochen von der Kirche. Sie gehen oft auch nicht in den Gottesdienst, deshalb kann man sie von der Kanzel aus nicht mehr erreichen. Aber jeder junge Mensch hört Musik, dieses Medium ist omnipräsent. Und wenn die Leute nicht mehr in den Gottesdienst kommen, dann bringen wir die Botschaft eben zu ihnen.10
Die Attraktivität dieses Evangelisierungsformats liegt aber nicht allein in der Einkleidung evangelikaler Theologie in ein modernes Gewand, sondern in einem Kernelement der Musik – dem sinnlichen Erleben. Christliche Popularmusik kann nicht allein anhand der Textinhalte begriffen werden. Die Live-Performance, der musikalisch-dramaturgische Aufbau der Lieder und die Gesamtshow sind mindestens genauso relevant für den Erfolg. Evangelikale Künstler:innen bedienen sich modernster Technik, um mithilfe von Bühnenshow, Licht- und Eventeffekten, aber auch mit gewissen inhaltlichen Spannungsbögen „wirkmächtige Erlebensszenarien zu kreieren, die Sinne, Körper und Kognition von Akteuren stark stimulieren und zu einem intensiven religiösen Erlebnis führen“.11 Die verschiedenen Mittel dienen dazu, bei den Rezipient:innen eine möglichst intensive emotionale Ergriffenheit auszulösen, die dann als Transzendenzerfahrung gedeutet werden kann. Solch multimedial erzeugtes Gotteserleben hat eine enorme Anziehungskraft auf evangelikale Gläubige.
Ein Gottesdienst in der Stuttgarter Innenstadt, der von den O’Bros im April 2025 organisiert wurde, war eine exemplarische Musikveranstaltung dieser Art und wir in Teil 2 ausführlicher analysiert.
Katharina Portmann, 17.06.2025
Anmerkungen
- Vgl. „SPH Music Masters“, Wikipedia, aktualisiert am 4.5.2024, https://tinyurl.com/3ymmfupt (letzter Abruf aller im Beitrag genannten Internetquellen am 4.6.2025).
- Vgl. „O’Bros“, Wikipedia, aktualisiert am 3.6.2025, https://tinyurl.com/3arb4hjw.
- „Der Glaube ist nichts, wofür man sich schämen muss“, Interview von Lisa Menzel mit Alexander Oberschelp, evangelisch.de, 5.6.2019, https://tinyurl.com/3wwnesbj.
- Namhafte Künstler wie etwa Cro, Bausa oder Shindy kommen ursprünglich aus der Region um Stuttgart.
- Interview mit Alexander Oberschelp (s. Anm. 3).
- Vgl. Vanessa Schmidt, „Diese Musik hören deutsche Jugendliche“, deutschland.de, 3.1.2024, https://tinyurl.com/yc4vh66p.
- Vgl. „Komet (Udo-Lindenberg-&-Apache-207-Lied)“, Wikipedia, aktualisiert am 16.5.2025, https://tinyurl.com/46x3v7ek.
- Dabei steht ein funktionaler Religionsbegriff im Fokus, der religiöse Elemente oft unabhängig von einem tatsächlichen Glaubensbezug verwendet.
- Sebastian Emling und Jonas Schira, „Evangelikalismus und populärkulturelle Musik“, in: Frederik Elwert, Martin Radermacher und Jens Schlamelcher (Hg.), Handbuch Evangelikalismus (Bielefeld: transcript, 2017), 393–406, 398.
- Interview mit Alexander Oberschelp (s. Anm. 3).
- Emling und Schira, „Evangelikalismus und populärkulturelle Musik“, 404.